Chur, Chennai, «Schwester Wasser»: Marius Kaiser liebt «Laudato si’»
Über Erzbischof Wolfgang Haas will Pfarrer Marius Kaiser (60) nicht sprechen. Lieber erzählt er vom Sonnengesang des Heiligen Franziskus und von der Papst-Enzyklika «Laudato si’». Vor 30 Jahren hat Marius Kaiser den Verein «One World» gegründet, der Menschen im Süden hilft.
Raphael Rauch
Würde es nach Marius Kaiser gehen, dann würde er nicht von «One World» erzählen. Sondern Menschen aus der Schweiz und aus Liechtenstein würden über ihre Erfahrungen in Indien, Kamerun, Ecuador und dem Libanon berichten. In diesen Ländern unterstützt der Verein «One World» Projekte.
«Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser»
Marius Kaiser ist Pfarrer von Thalwil. Er hat für das Treffen mit der Presse eine grüne «One World»-Krawatte angelegt. Krawatten mag der aus Liechtenstein stammende Priester ebenso wenig wie den Römerkragen. Aber wenn es um sein Herzensanliegen geht, dann zieht er auch die geschenkte Krawatte an.
Marius Kaiser blickt auf den Zürichsee und erzählt von «Schwester Wasser». Er zitiert den Sonnengesang des Franz von Assisi: «Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser.» Die Papst-Enzyklika «Laudato si’» bedeutet für ihn, fürs Zürcher Wasser ebenso dankbar zu sein wie an den Blaupunktrochen zu denken. Der steht auf der roten Liste der gefährdeten Arten.
«Wie kann man Ski fahren, wenn Menschen hungern?»
Franz von Assisi hat Marius Kaiser ebenso geprägt wie Taizé. Irgendwann ging er als junger Mann zu einem Taizé-Treffen nach Chennai. «Es war schrecklich», berichtet er. Zu viele Menschen, zu voll, zu laut. Hinzu kamen Magenprobleme und Heimweh. Für den Liechtensteiner wurde Indien zu einem Kulturschock. Doch als er zurückkam, fühlte er sich plötzlich fremd im eigenen Land.
«Wie kann man Ski fahren, wenn Menschen hungern?» Marius Kaiser stellt sich existentielle Fragen. «Ich habe die Bilder aus Indien nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Wenn ich einen Wasserhahn aufgedreht habe, habe ich automatisch indische Frauen gesehen, die mühsam Wasser schöpfen.»
Erst wollte er nicht Priester werden
Marius Kaiser hat in Indien seine Berufung gefunden. «Indische Schwestern haben nach meiner ›vocation’ gefragt. Ich wusste nicht, was eine Berufung ist.»
Marius Kaiser studierte in Chur und Freiburg. Er konnte sich vorstellen, Pastoralassistent oder Diakon zu werden –nur nicht Priester. Schlussendlich ist er dann doch Priester geworden: «Mich hat beeindruckt, wie in Indien hunderte junge Frauen und Männern ein klares Ziel vor Augen hatten: ein Leben im Orden oder als Priester. Die haben dieses Ziel geradlinig verfolgt – und ich war ein Suchender.»
«Jeder Mensch zählt»
Auf dem Weg des Suchens kam Marius Kaiser ins Handeln. Vor 30 Jahren hat er den Verein «One World» gegründet. Anfang der 1990er-Jahre war es für ihn noch einfach, in seiner Liechtensteiner Heimat um Spenden zu werben. «Die Unternehmen waren grosszügig. Unter 500 Franken Spende habe ich kein Treuhandbüro verlassen», sagt Marius Kaiser und lacht. «Die Zeiten sind inzwischen vorbei.»
Der grosse Bohrmaschinen-Baron Hilti stellte Marius Kaiser die Frage, ob sein Projekt nicht ein Tropfen auf den heissen Stein sei. «Jeder Mensch zählt. Selbst wenn wir nur einer Person helfen können, sind wir erfolgreich, weil wir dann immer auch der ganzen Familie helfen», antwortete Marius Kaiser.
«Liechtenstein ist klein»
Der Priester sprüht vor Energie. Er wirkt voll positiver Energie. Über die Schwierigkeiten im Erzbistum Vaduz möchte er lieber ein andermal sprechen. Nur so viel: «Wolfgang Haas kann nichts dafür, dass er ist, wie er ist. Man hätte ihn halt nicht zum Bischof ernennen sollen.»
Wolfgang Haas ist der Hauptgrund, warum Marius Kaiser Priester des Bistums Chur ist. Aber nicht der einzige Grund: «Als Pfarrer sollte man beweglich bleiben. Zu lange am selben Ort ist oft nicht gut. Und Liechtenstein ist klein.»
Von Mutter Teresa tief beeindruckt
Marius Kaiser reist gerne. Coronabedingt konnte er die letzten zwei Jahre nicht nach Indien. Sonst reist er alle drei Jahr dorthin. Ihn fasziniert, wie Glaube, Religion und Spiritualität in Indien selbstverständlicher Teil des Lebens sind.
Mutter Teresa hat er nie persönlich getroffen. Zu den Barmherzigen Schwestern hat er trotzdem eine besondere Verbindung. Auch von Mutter Teresa, die von Albanien nach Indien zog, um in den Slums den Ärmsten der Armen zu dienen, ist Marius Kaiser tief beeindruckt.
Auch im reichen Zürich gibt’s Armut
Dabei steht Marius Kaiser für eine ganz andere Theologie und sieht auch sonst Vieles kritisch: «Ich war früher Lehrer und bin im Herzen Pädagoge geblieben. Ich gebe den Menschen lieber eine Angel, damit sie selbst fischen, als ihnen ständig einen Fisch zu geben.» Trotzdem brauche es Menschen wie die Barmherzigen Schwestern, die keine Entwicklungshilfe machten, «sondern einfach da sind und helfen», sagt Marius Kaiser.
Noch heute feiert er einmal in der Woche mit den Barmherzigen Schwestern in Zürich eine Messe. «Sie haben mir gezeigt, dass es auch im reichen Zürich Armut gibt.»
«Ich brauchte meine kleine Arche»
Auch der Obdachlosenpfarrer Ernst Sieber hat Marius Kaiser begeistert. «Pfarrer Sieber war ein charismatischer Alpha-Typ, der Ja-Sager um sich herum braucht und keinen Widerspruch duldet.» Marius Kaiser sagt das in einem wertschätzenden Tonfall. Er weiss um Pfarrer Siebers Verdienste und findet, die Kirche brauche viel mehr Diakoninnen und Diakone, die an die Ränder gingen.
Marius Kaiser hat viel zu erzählen. Wie er als Lehrer auf dem jüdischen Friedhof in Bern wohnte. Wie bitte? «Ja, mitten auf dem Friedhof gibt’s ein kleines Haus. Ich habe hier für 200 Franken zur Miete gelebt.» Im Herzen sei er auch Bauer, sagt Marius Kaiser. «Ich brauche Tiere um mich rum. Ich habe mit dem Friedhofsverwalter abgesprochen, dass ich auf dem Friedhof ein paar Tiere halten darf.» Zwei Hasen, zwei Meerschweinchen und zwei Hühner. «Ich brauchte meine kleine Arche.»
«Beziehungsarbeit mit den Menschen im Süden»
Von Papst Franziskus’ Enzyklika «Laudato si’» ist Marius Kaiser begeistert: «Endlich geht es nicht nur um den Menschen, sondern um die ganze Schöpfung.» Sein Verein «One World» reagierte darauf mit dem Programm «One Nature».
Im Verein gilt der Grundsatz: «Wir machen Beziehungsarbeit mit den Menschen im Süden», sagt Marius Kaiser. Zuhören, Partizipation: Die Anliegen von Papst Franziskus im synodalen Prozess passen gut zu Marius Kaiser, dem Vollblut-Pädagogen. «Die Menschen vor Ort wissen am besten, was sie brauchen.» Das gelte für die Kirche ebenso wie für die Entwicklungszusammenarbeit.
«Laudatio si’» konkret machen
Wegen Corona konnten zuletzt keine Freiwillige zu den Projekten reisen. Doch Marius Kaiser ist optimistisch, dass sich das jetzt wieder ändert: Volonteers, die «One World» leben und eine Zeitlang in Indien, Kamerun, Ecuador oder im Libanon leben. Und später in die Schweiz zurückkommen, um über ihren Einsatz zu berichten. Marius Kaiser sagt: «’Laudato si” wird so konkret.»
Informationen zur Volunteer-Arbeit von «One World» finden Sie hier.
Hier geht es zur › Bestellung einzelner Beiträge von kath.ch.