Eine Schweizer Orgel für die Sixtina

Die weltberühmte Sixtinische Kapelle im Vatikan erhält eine neue Orgel – «made in Switzerland».

Gefertigt wird das Instrument vom Orgelbauer Mathis aus Glarus, Josef Schibig aus Steinen SZ steuert die Schnitzar-beiten bei, und die Glarner Firma Inauen-Schätti hat das «Orgel-Mobil» konstruiert.

«Der macht wohl einen Scherz mit mir!» Josef Schibig, Holzbildhauer aus Steinen SZ, erinnert sich noch lebhaft an den Telefonanruf aus Näfels im Januar 2000. «Hermann Mathis, der Glarner Orgelbauer, fragte mich an, ob ich bereit wäre, innert vierzehn Tagen Ornamentvorschläge für eine neue Orgel in der Sixtinischen Kapelle in Rom zu entwerfen. Ich war überwältigt.» Der 72-jährige Kunsthandwerker, der in seinem langen Berufsleben an weit über hundert Orgeln mitgearbeitet hat, nahm umgehend den Griffel zur Hand, konsultierte umfangreiche Kunstliteratur und zahllose Websites. Die Sixtina kannte er nur vom Hörensagen. «Ich liess mich von den Bildern inspirieren, skizzierte und entwarf die Schleiergitter mit Ornamenten – mit Akanthus, Fanta-sievögeln, Früchten und Engeln.» Pünktlich lieferte er die Zeichnungen samt Kosten-voranschlag nach Näfels. Und dann begann das grosse Warten auf die Antwort aus Rom …

Mobil muss sie sein

Die Firma Mathis hat sich im Orgelbau auch international seit Jahren einen Namen geschaffen. 325 Mathis-Orgeln stehen von Taiwan über Japan bis Klagenfurt, Re-gensburg und Einsiedeln in Domen und Stiftskirchen und ab Pfingsten 2003 sogar im Münster von Basel. «Aber eine Orgel für diesen einzigartigen, geschichtsträchtigen Raum ist auch für unseren Betrieb eine ausserordentliche Ehre», freut sich Hermann Mathis, seit 1992 Geschäftsführer des Familienunternehmens und selbst Orgelbauer und Klanggestalter. Die Glarner Firma war im Vatikan keine Unbekannte. «1999 durften wir die Orgel in der Kapelle der Schweizergarde bauen», sagt Mathis. Trotzdem kam die Anfrage für die Sixtina völlig überraschend: «Für uns war es unglaublich, dass Bischof Piero Marini, der Zeremonienmeister des Papstes, uns um Entwürfe für eine neue Orgel in der Sixtina bat.»

Der Auftrag aus dem Vatikan war klipp und klar: eine mobile, stabile Pfeifenorgel, ohne Demontage verschiebbar. Denn während der Öffnungszeiten der Sixtina soll das Instrument in einem Nebenraum abgestellt werden. Hermann Mathis weilte für vier Besichtigungen und Raumvermessungen in der Sixtinischen Kapelle, auch, wie Mathis erklärt, «um den imposanten Raum auf mich wirken zu lassen und die Akustik zu studieren». Das Instrument sollte nicht als raumgreifende «Brauseorgel» konzipiert werden, obwohl die Dimensionen der Sixtina das nahe gelegt hätten. Mit fast 10 000 Kubikmetern Rauminhalt ist die Sixtinische Kapelle etwa so gross wie eine mittlere Schweizer Pfarrkirche. Die Orgel war als relativ kleines, dafür bewegliches Instrument gedacht mit 14 Registern, verteilt auf zwei Manuale und mit Pedal.

Hermann Mathis und sein bewährtes Team gingen systematisch an die Grobplanung des Werks und lieferten dem Vatikan Pläne und Offerte ab. Auch das Thema Transport des Instruments wurde minutiös durchdacht.

Und dann begann auch in Näfels das lange Warten auf die Antwort aus Rom …

Und los!

Grünes Licht aus dem Vatikan kam dann sechs lange Monate später. Hermann Mat-his: «Das ´Ufficio delle Celebrazioni Liturgiche del Sommo Pontefice´ teilte mir früh-morgens am Telefon mit, Bischof Piero Marini wünsche einen Werkvertrag abzu-schliessen. Ich stand gleichentags um 16 Uhr mit dem Vertrag unter dem Arm in Rom!» Eine Stiftung im Kulturbereich hatte sich bereit erklärt, die Finanzierung des Instruments im Betrage von 640 000 Franken zu übernehmen und dem Vatikan die Orgel zu schenken.

Und auch Bildhauer Schibig in Steinen durfte aufatmen: Er konnte sich ans Werk machen, an die Krönung seiner beruflichen Tätigkeit – eine Holzbildhauerarbeit für die Sixtina. «Ich habe erwartet, dass noch diverse Änderungswünsche aus Rom eintreffen würden – aber nichts dergleichen geschah.»

Die Terminvorgabe aus dem Vatikan: Die Orgel muss bis Mitte Dezember 2002 zur Weihe bereitstehen. Josef Schibig plante für seine Arbeit in diesem Sommer rund zehn Wochen ein, und Hermann Mathis machte sich mit den Konstrukteuren an die aufwändige Detailplanung. Doch dann traten beim Transportsystem unerwartete Probleme auf. Ursprünglich bestand der Plan, die Orgel per Luftkissen transportfähig zu machen. Diese Methode stellte sich jedoch als unrealistisch heraus. Hermann Mathis: «Die ausländische Firma, mit der wir für den Orgeltransport in Kontakt standen, kam nach monatelangem Hin und Her zum Schluss, dass sie nicht in der Lage sei, den anspruchsvollen Transport zu bewerkstelligen.» Guter Rat war teuer. Hermann Mathis liess aber nicht locker. «Wir mussten für diese heikle Sache eine Lösung finden.»

Das Gute liegt so nah

Und diese Lösung lag überraschend nah. «Die Firma Inauen-Schätti, zehn Kilometer weiter hinten im Tal ansässig und weltweit tätige Spezialistin für Montage- und Transportsysteme, erklärte sich bereit, das knifflige Problem für uns zu lösen.»

Arno Inauen, Geschäftsführer der Hightech-Firma, die erst kürzlich im brasilianischen Rio die Seile auf den Zuckerhut neu spannte und für die Überdachung des Fussballstadions in Wien sowie die Montage der drei kieselförmigen Dachkonstruktionen an der Expo.02 in Neuenburg verantwortlich zeichnet, erinnert sich: «Der Auftrag reizte uns. Mit Konstruktionsspezialisten, Maschineningenieuren, Hydraulikern, Mechanikern und Schlossern planten und bauten wir einen Fahrzeug-Prototyp, der den extremen Anforderungen des Auftrags entsprach.» Die Vorgabe an die Firma Inauen-Schätti war komplex: Das Gefährt muss die 3,5 Tonnen schwere Orgel erschütterungsfrei nach jedem Einsatz von der Sixtina über verschiedene Treppen hinauf und hinunter, quer durch den grossen Königssaal, die Sala Regia, und um verschiedene Ecken in den Vorraum der Aula Benedizione führen. Eine Knacknuss sogar für die hartgesottenen Profis aus Schwanden.

Nach drei Monaten Grob- und Detailplanung und zwei Monaten Fabrikation in den Werkstätten stand eine Präzisionsarbeit erster Klasse zur Erprobung bereit. «Rund 200 Stunden Planung und Produktion und 40 Stunden Tests werden wir investiert haben, damit das ‚Orgel-Mobil‘ ab Dezember ohne Risiken seinen Dienst in den Räumen des Vatikans versehen kann», rechnet Arno Inauen vor. Was dann ge-schieht, erklärt er so: «Wir werden die Leute, die den Transport ausführen, genau-estens instruieren. Das extrem manövrierfähige, leicht zu führende Fahrzeug ist mit zwei unabhängigen Achsen versehen; mit einer Geschwindigkeit von 1,5 Kilometern pro Stunde wird das ‚Orgel-Mobil‘ in rund 40 Minuten vom Aufbewahrungsort in die Sixtina rollen.» Vier bis fünf Leute seien bei jedem Transport nötig.

Nächtliche Klanggestaltung

Unabhängig voneinander und trotzdem Hand in Hand arbeiten in Steinen, Schwanden und Näfels drei Firmen am Orgelwerk für die Sixtina. Koordiniert werden die Tätigkeiten von Hermann Mathis. «Bis Ende Oktober wird die Orgel bei einer Produktionszeit von rund zwölf Wochen in unseren Werkstätten fertig gestellt sein», erklärt der Orgelbauer. Gefertigt werde das Instrument aus Schweizer Nussbaumholz, das schon seit Jahren in Hallen seiner Firma lagere. 782 Pfeifen, davon 716 in einer Zinn-Blei-Legierung und 66 in Holz, seien zurzeit in Arbeit. Zusammen mit den feinen Ornamenten aus dem Bildhaueratelier Schibig und dem exklusiven «Orgel-Mobil» aus Schwanden werde die kostbare Fracht dann Anfang November nach Rom transportiert und ab dem 12. November in der Sixtina aufgebaut.

Für den Klanggestalter Hermann Mathis, der in seiner Freizeit Leiter eines Kirchenchors und Organist ist, beginnt dann ab dem 25. November 2002 eine besondere Phase des Projekts: Er wird in minutiöser und geduldiger Feinarbeit jeder einzelnen Orgelpfeife ihren geplanten Klang verleihen, die Intonation der Orgel vornehmen. «Ich stelle für die Organisten die Klangfarben bereit; die Handschrift des Orgelbauers ist an der Klanggestaltung zu erkennen», erläutert Mathis. Intonation hat viel mit Fingerspitzengefühl und Erfahrung zu tun. «Indische Meditationslehren sagen, der Gehörsinn führe direkt ins Herz, in die Seele des Menschen. Musik löst Emotionen aus.» Hermann Mathis wird in der Sixtina während der Nacht intonieren: «Ich rechne mit etwa zweieinhalb Wochen Arbeit am Instrument. Ab 16 Uhr, wenn die Sixtina für das Publikum geschlossen wird, kann ich an der Orgel sitzen – meine ‚Arbeitsnacht‘ wird dann jeweils bis morgens um 7 Uhr dauern.» Ein einsamer Job in einmaliger Atmosphäre; für Hermann Mathis ist es ein Höhepunkt in seiner Orgelbauerkarriere.

Einweihung mit Schweizer Organist

Ihrer eigentlichen Funktion übergeben wird die Orgel mit einer feierlichen Einweihung im Kreis geladener Gäste und einem festlichen Orgelkonzert in der Sixtina am Samstag, dem 14. Dezember 2002. Pater Theo Flury, Stiftsorganist des Klosters Einsiedeln, Komponist und Professor an der Musikhochschule Luzern, wird zusammen mit dem Organisten in St. Peter, James Edward Göttsche, sowie den Sängerknaben der Cappella Sistina (Pueri Cantores) die Einweihung musikalisch begleiten. Pater Theo studierte von 1982 bis 1988 beim damaligen Leiter des Chors für die besonderen Papstgottesdienste, Domenico Bartolucci, und begleitete diesen als Organist mehrmals auf Konzertreisen. Als Dolmetscher von Hermann Mathis kam es 2001 zu Kontakten mit Bischof Piero Marini, der Pater Theo spontan zur Benediktionsfeier der neuen Orgel in der Kapelle der Schweizergarde einlud. Pater Theo: «Mir ist, als würde ich nach langen Jahren endlich wieder in meine Wahlheimat zurückkehren.»

Susann Bosshard-Kälin


Die Sixtinische Kapelle
Die Sixtinische Kapelle wurde von Giovanni de´ Dolci unter Papst Sixtus IV. della Rovere in den Jahren 1477–1482 als päpstliche Hauskapelle erbaut. Das 1483 der Jungfrau Maria geweihte Gotteshaus dient traditionsgemäss als zeremonielles Zentrum des Vatikans. Hier finden unter anderem die Versammlungen der Kardinäle und das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes statt.

Der Innenraum des mittelalterlichen Baus zählt mit seinen einzigartigen Fresken zu den Kulturgütern von Weltruhm – die 12 Bilder mit Szenen aus dem Leben Christi und Mose wurden von Meistern der florentinischen Frührenaissance wie Botticelli, Rosselli, Peruginio, Ghirlandaio und Signorelli geschaffen.

1533 erhielt Michelangelo von Papst Clemens VII. den Auftrag, an der Altarwand der Sixtina eine Darstellung des Jüngsten Gerichts zu malen. 1541 war sie fertig gestellt.

Zum 500. Geburtstag Michelangelos (1975) beschloss der Vatikan, die im Laufe der Jahrhunderte durch Regenwasser, Risse sowie Übermalungen von Restauratoren in Mitleidenschaft gezogenen Fresken einer grundlegenden Restaurierung zu unterziehen. Heute präsentiert sich der Innenraum der Sixtinischen Kapelle wieder in seiner ursprünglichen, überraschend farbenkräftigen Gestalt. Täglich wird die Sixtina von Tausenden von Besuchern aus aller Welt bewundert. (Quelle: Mathis Orgelbau) sbk


Orgelbau im WWW
Auf http://www.mathis-orgelbau.ch und auf http://www.sculptor.ch orientieren die Schweizer Handwerker über den Stand der Arbeiten an der Sixtina-Orgel.

Sonntag
13. Oktober 2002 | 00:00